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Krafttier Dachs

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Die Spitze des Eisbergs

Ein morgendlicher, warmer Sonnenstrahl drang in den verwinkelten, dunkeln Bau des Dachses und er entschloss sich, seinen Bau seit Langem wieder zu verlassen und durch den Wald zu schlendern. Genauso, wie er seinen Bau liebte, liebte er auch den Wald, aber in den letzten Wochen war er zu sehr mit dem Ausbau seines Zuhauses beschäftigt gewesen. Die Erde ist gut, da können viele neue Pflanzen wachsen, dachte sich der Dachs, denn er wusste, dass vieles von dem zunächst Unscheinbaren abhing. 

Kurzerhand entschloss er sich, den Fluss in der Nähe aufzusuchen, denn nur dort, wo es viel Wasser gab, wuchsen seine Lieblingsbeeren, auf die er schon viel zu lange verzichten musste. Sie schmeckten ihm nicht nur gut, sondern verschafften ihm außerdem reichlich neue Energie, um in den Tag starten zu können. Doch als der kleine Dachs an sein Ziel kam, sah er in der Ferne einen einsamen Biber, der mit seinem errichteten Damm zu kämpfen hatte. Obwohl er selbst heute noch viel zu tun hatte, ging er auf den Damm zu und schaute neugierig dem Biber zu. 

„Hey, mein Freund, was ist das Problem?“, fragte der Dachs. „Ich weiß es nicht“, erwiderte der Biber verzweifelt „irgendwas stimmt nicht mit dem Damm. Er bricht immer mehr zusammen, vollkommen egal, wie viel Holz ich obendrauf lege.“

Der kleine Dachs ging ganz nah ans Ufer und schaute sich das Problem näher an. „Hm … hast du schonmal geschaut, ob mit dem Fundament alles in Ordnung ist?“

„Nein. Das habe ich schon vor Wochen gebaut und da hat alles einwandfrei funktioniert“, antwortete der Biber.

„Aber der Fluss drückt ständig gegen den Damm, vielleicht hält das Fundament die Flut auf Dauer nicht aus? Oder die Strömung hat etwas mitgetragen und das schadet der Basis. Wenn die Grundlage nicht stimmt, dann brauchst du dich nicht wundern, wenn oben alles auseinanderbricht, hast du etwa daran noch nie gedacht??“, entgegnete der kleine Dachs energisch.

„Schon gut, du musst nicht gleich so gemein werden, kannst du vielleicht kurz nachsehen?“, bat der Biber.

Doch der Dachs schüttelte nur den Kopf „Nein, das ist deine Aufgabe.“

Und so tauchte der Biber in den Fluss hinab, während der Dachs oben ungeduldig wartete. Er war ein Einzelgänger und gab sich deshalb nicht gern mit anderen Tieren ab und erst recht nicht mit Tieren, die keine Dachse waren.

Auf einmal wackelte der Damm gewaltig und ein paar Stöcke flogen ins Wasser. Doch als der Biber wieder auftauchte, hatte er einen großen Stein dabei. „Du hattest recht“, meinte er, „Der Stein hat die ganze Zeit gegen die unteren Hölzer gedrückt.“ 

„Und je mehr du nach oben gebaut hattest, desto instabiler wurde das Gerüst“, unterbrach ihn der Dachs. „Lass mich dir einen Tipp geben: Nur weil gewisse Dinge früher funktioniert haben, heißt es nicht, dass es für immer funktioniert. Und oft sehen wir nur ein oberflächliches Problem und versuchen deshalb sozusagen die Symptome zu bekämpfen, aber nicht die ursprüngliche Krankheit. Das kann auf kurze Zeit zwar funktionieren, aber ist langfristig keine gute Lösung.“

Der Biber hörte interessiert zu und nickte am Ende. „Ich verstehe was du meinst, aber trotzdem ist es schade, dass oben ein paar Stöcke hinunter ins Wasser gefallen sind und nun hat sie der Fluss bereits zu weit weggetrieben. Ich muss mich also später auf den Weg machen und schon wieder neues Holz sammeln.“

„Das ist ein Schaden, den du in Kauf nehmen musst, wenn du ein tief gelegenes und schon vor langer Zeit entstandenes Problem beseitigst. Aber stell dir mal vor, der Damm wäre in ein paar Tagen komplett in sich zusammengestürzt. Dann wäre alles kaputt und der Fluss hätte den gesamten Bau mit sich gerissen und du müsstest ganz von vorne anfangen. Und meine Beeren wären auch noch überschwemmt worden.“ Und mit diesen Worten wand sich der Dachs ab und machte sich auf den Rückweg. 

„Danke für deine Hilfe!“, rief der Biber noch hinterher aber der Dachs antwortete nicht mehr, er wollte nur noch zurück zu seinem Bau und die gesammelten Beeren in Sicherheit bringen. Aber tief im Inneren fühlte er sich gut, dass er dem Biber helfen konnte und den Wald vor einem Unglück bewahr.